Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dominiert nicht nur die täglichen Nachrichten, sondern beherrscht auch die Welt der sozialen Medien. In zahlreichen Beiträgen, egal ob in abendlichen Fernsehnachrichten oder in sozialen Netzwerken, tauchen Bilder von im Einsatz befindlichen oder zerstörten Panzern und Begriffe wie »Strela« oder »Stinger« auf, die einigen Exponaten des Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in der Dresden eine traurige, ja bittere Aktualität verleihen. Im Folgenden ist eine Exponatauswahl zu finden, die im Bezug zum Krieg in der Ukraine steht. Unsere Guides geben bei einem Besuch des Museums gerne nähere Auskunft dazu. Weitere Hintergründe und Analysen bietet das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften in seinen Online Dossiers.
Headerbild: Ein Demonstrant auf einem Denkmal stehend mit ukrainischer Flagge in der Hand während eines Protestmarsches gegen den russischen Angriffskrieg. Krakau, Polen, am 17. März 2022. © IMAGO/NurPhoto
»Die Ukraine. Land u. Volk«
Schaukarte, Berlin 1918
Am 25. Januar 1918 erklärte der Zentralrat in Kiew die Unabhängigkeit der Ukrainischen Volksrepublik. Im selben Jahr besetzten deutsche und österreichisch-ungarische Truppen die Ukraine. Mit der Besetzung der Ukraine erhofften sich Deutschland und seine Verbündeten umfangreiche Getreide- und Rohstofflieferungen, um ihre schwierige Versorgungslage zu verbessern. Die Aussicht auf diese »Schätze« der Ukraine, die hier bereits »in ihren voraussichtlichen Grenzen« umrissen ist, sollte bei den Mittelmächten nicht zuletzt die Moral von Soldaten und Zivilisten stärken. Zeitweise hatte Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen sogar die Annexion der Ukraine erwogen. Nach der Wiederherstellung der Ukrainischen Volksrepublik 1919 vereinigte sich diese mit der kurz zuvor gegründeten Westukrainischen Volksrepublik. Große Teile des Landes wurden als Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik in die 1922 gegründete Sowjetunion eingegliedert. Diese, wenn auch gescheiterten, Staatsbildungsversuche sind bis heute von großer Bedeutung für die Ukrainer.
NVA-Soldat mit Infrarotgelenkter Flugabwehrrakete »Strela« (Pfeil)
Fotograf: Heinrich Tessmer
DDR, 28.10.1988
Foto
Ein-Mann-Flugabwehrraketen werden zur Abwehr von Flugzeugen eingesetzt. An der Spitze der Rakete ist ein Infrarotsucher montiert, der auf den heißen Abgasstrahl des Flugzeugs reagiert. Im MHM befindet sich das Foto im Themenparcours der Dauerausstellung unter »Militär und Technik«.
Schnittmodell eines Abschussgerätes für schultergestützte Flugabwehrrakete Strela-2M
Sowjetunion, 1968
Die schultergestützte Flugabwehrrakete Strela-2M stellt für tieffliegende Flugzeuge eine große Gefahr dar. Infrarotgelenkte Flugabwehrraketen wurden im Kalten Krieg im Westen und Osten entwickelt. Im MHM befindet sich das Schnittmodell im Themenparcours der Dauerausstellung unter »Militär und Technik«.
Startrohr für tragbare Flugabwehrrakete FIM-92D »Stinger«
USA, ab 1992
Die FIM-92D »Stinger« stammt aus amerikanischer Produktion. Eine frühere Variante wurde von amerikanischen Geheimdiensten in den 1980er Jahren an aufständische Muhdjahedin in Afghanistan geliefert. Die Raketen waren sehr effizient bei der Einschränkung der sowjetischen Lufthoheit. Die militärpolitische Niederlage der Roten Armee in Afghanistan trug zur Destablisierung der Sowjetunion bei. Im MHM befindet sich ein Startrohr für die »Stinger« in der Chronologie der Dauerausstellung unter »1945 bis heute«.
Procedure room (Behandlungszimmer)
Nikita Kadan (*1982 Kiew), Ukraine 2009–2010, bedruckte Porzellanteller
Die Sammlung des MHM verfügt über rund 1.000 Erinnerungsteller, die einzelne Truppenteile, Ereignisse oder Personen feiern. Anders verhält es sich bei den Tellern des ukrainischen Künstlers Nikita Kadan, der sich laut Interviews trotz des russischen Angriffskrieges immer noch in Kiew befindet (Stand: 4. April 2022). Während er aktuell in einem Bunker mit Kohle und Papier die Gegenwart künstlerisch verarbeitet, bringt Kadan mit seinen Tellern ein Thema auf den Tisch, das häufig unsichtbar bleibt: Folter als Mittel politischer Gewalt. Die dargestellten Szenen erinnern im Stil an ein populäres Medizin-Lexikon aus der Sowjetära. Dort erscheinen die Patienten mit völlig unbewegtem Gesicht, während schmerzhafte Prozeduren an ihnen vorgenommen werden. Diesen Gesichtsausdruck zeigen auch die Figuren in den Folterszenen, so dass diese seltsam abstrakt erscheinen. Erst auf den zweiten Blick wird ihre ganze Brutalität deutlich. Im MHM sind die Teller in der 2. Etage des Libeskind-Keils zu sehen.
Hostomel Sculpture (Hostomel Skulptur)
Nikita Kadan (*1982 Kiew/Ukraine), Ukraine und Deutschland 2022, schwarzer Basaltfindling, Stahlrohr, verzinktes Metallblech
Nikita Kadan verwendete für seine fahnenartige Skulptur ein Metallstück, das vom Dach eines fünfstöckigen Wohnhauses in Hostomel stammt. In den ersten Kriegswochen gehörte Hostomel zu den am stärksten umkämpften Vororten Kiews. Artillerieraketen zerstörten das Hausdach im März 2022. Das Metallblech ist verformt und weist Spuren von Schrapnellen auf.
Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 und den folgenden Kämpfen im ostukrainischen Donbas schafft Kadan Skulpturen aus Material, das von Kriegsgewalt zeugt. Fundstücke aus Kampfgebieten entwickeln ein Eigenleben, Kriegsschrott windet sich in Kadans Werken zu Fahnen: Symbol einer Machtpolitik, die zu Zerstörung führt? Oder die »Phantasie einer Revolte der Dinge« (Kadan), ein rebellisches Objekt, das sich zum Gegenangriff formiert?
Der Basaltstein, der die Stange hält, stammt aus dem Kölner Umland. Metallblech und Stein erzeugen ein Spannungsverhältnis zwischen Zerstörungen in der Ukraine und deutscher Normalität. Es lässt an den schwindenden Abstand zwischen Krieg und Frieden denken.